Wie viel Last kann eine Decke tragen? Um das herauszufinden, belastet die HTWK-Ausgründung IEXB Decken mit Stahlrahmen und hydraulischen Pressen. So können die Bauingenieure vorherbestimmen, ab welchem Gewicht alles zusammenbrechen würde. Wir waren beim Belastungstest im sächsischen Vogtland dabei, wo eine ehemalige Eisengießerei zum Fitnessstudio werden soll.
Fitnessgeräte sind schwer. Deswegen gibt eine europäische Norm vor, dass Decken von Sportstätten mehr als eine Tonne Last pro Quadratmeter tragen können müssen. Inklusive aller erforderlichen Sicherheiten prüft IEXB die Decke der alten Eisengießerei mit einer Last von 52 Tonnen. Das ist so viel wie zehn Elefantenbullen wiegen.
Dafür installieren die Tragwerksprüfer Gunter Hahn und Markus Fischer und ihre beiden Helfer innerhalb von zwei Stunden ein Gestell aus Stahl, das auf Böcken steht und mit daran befestigten Hydraulikzylindern für viel Druck sorgt. Damit wollen die Bauingenieure des Leipziger Unternehmens IEXB herausfinden, ob die Decke über dem ersten Geschoss der alten Eisengießerei in Limbach tatsächlich hält.
Rein rechnerisch kam ein Statiker zu dem Ergebnis, dass die Decke der alten Halle für die neue Nutzung als Fitnessstudio nicht stark genug sei. Ihm fehlten Baupläne und genaue Informationen über die verwendeten Baumaterialien, daher ging er vom schlechtesten Fall aus – mit negativem Ergebnis. Doch der Bauherr wollte nicht aufgeben und beauftragte IEXB für umfangreiche Untersuchungen des Tragwerks.
Vorarbeit und mobiles Labor
Zunächst machten sie Vorberechnungen mit Finite-Elemente-Simulationen, erstellten ein individuell angepasstes Konzept, wie die Prüfung vor Ort durchgeführt werden kann, und bereiteten den Außeneinsatz vor. Nun geht es vor Ort weiter: In vier Tagen belasten sie verschiedene kritische Punkte der Decke und messen dabei, wie sich der Beton verformt. Um die Belastungsprobe exakt durchführen zu können, muss ein Kräftekreislauf zwischen dem zu prüfenden Bauteil und den Stahlträgern erzeugt werden. Dafür verschrauben die Bauingenieure ein Stahlgerüst mithilfe großer Eisenstangen mit dem Boden.
Gleich neben der roten Stahlkonstruktion richten sich Hahn und Fischer auf zwei Tischen ein mobiles Messlabor ein. Es besteht aus zwei Computern und einer Elektropumpe, die Öl in die Hydraulikzylinder befördert, wenn Hahn langsam das Ventil aufdreht. Wie viel Kraft auf die jeweiligen Zylinder einwirkt, ermitteln elektrische Kraftmessdosen.
Eine Etage tiefer hängen hochsensible Messgeräte an der Decke, deren zahlreiche Kabel durch ein Loch mit den obenstehenden Computern verbunden sind. Die Sensoren messen zweierlei: Speziell angefertigte Mikrofone zeichnen genau die Frequenz der Geräusche auf, die entstehen, wenn durch die Belastung Mikrorisse im Beton auftreten. Diese Risse sind bis zu einem gewissen Niveau unbedenklich. Diese Art der Schallemissionsanalyse hat Dr. Gerd Kapphahn an der HTWK Leipzig vor zwanzig Jahren für Beton anwendbar gemacht und damit einen entscheidenden Beitrag für die Weiterentwicklung experimenteller Belastungsuntersuchungen geleistet. Wegaufnehmer wiederum messen, wie viele tausendstel Millimeter sich die Betondecke nach unten durchbiegt und damit auf die langsam steigende Last reagiert.
Diese Informationen visualisieren die Computer. Dadurch sehen Hahn und Fischer zeitgleich alle notwendigen Parameter zur Bewertung des Tragverhaltens der Decke. Sollten die Last-Verformungs-Kurven oder Schallsignale in kritische Bereiche kommen, können die Bauingenieure das Experiment sofort abbrechen. Dann würde Hahn das Ventil öffnen und den Ölfluss umkehren. So kann er eine Schädigung der Struktur vermeiden. Denn nicht die zwei Tonnen schweren Stahlrahmen, sondern die Hydraulikzylinder sorgen für die eigentliche Last. „Zum Vergleich: Wasser schießt mit einem Druck von rund drei Bar aus dem Wasserhahn. Das Öl im Hydraulikzylinder drückt den Kolben mit einem hundertfach höheren Druck auf den Boden. Dadurch können die beiden hier eingesetzten Hydraulikzylinder je eine Last von bis zu 38 Tonnen erzeugen“, erläutert Hahn.
Ziellast erreicht
Heute muss er die Belastung nicht vorzeitig stoppen: Die Decke hält die Ziellast von 52 Tonnen ohne Probleme. Hahn überbringt dem Bauherrn schon vor Ort die frohe Botschaft, dass er das alte Gebäude für den neuen Zweck nutzen kann. Das ist fast jedes Mal so: In 15 Jahren Arbeitserfahrung und über 300 Untersuchungen gingen Hahns Belastungstests nur zweimal negativ aus. Eine Probe vor Ort kann sich also durchaus lohnen: für die Bauherren und auch für die Umwelt. Wenn Gebäude, die rein rechnerisch nicht neu genutzt werden dürften, doch noch für eine Umnutzung taugen, spart das Materialien und Energie, die für einen Neubau oder eine aufwendige Verstärkung nötig wären.
Erfolgreiche HTWK-Ausgründung
Das ist einer der Gründe, die Hahn und seine Mitgründenden im Januar 2020 dazu bewegten, IEXB ins Leben zu rufen und so eine Nische der Branche zu besetzen, die dabei hilft, Bestandsgebäude weiterhin zu nutzen. Die Idee dazu reifte in Gunter Hahn nach dem Bauingenieur-Studium an der HTWK Leipzig während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am HTWK-Institut für experimentelle Mechanik. Mit Markus Fischer, ebenfalls Bauingenieur-Absolvent der Hochschule, und Ökonomin Yvonne Hahn fand er das perfekte Gründungsteam. Beim Weg in die Selbstständigkeit holten sich die drei Unterstützung von ihrem Mentor Prof. Volker Slowik und der HTWK-Gründungsberatung Startbahn 13 und warben so ein EXIST-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums ein. Die Gründung ist ein Erfolg. Die Auftragsbücher sind gefüllt und die Aufgaben klar verteilt: Gunter Hahn und Markus Fischer kümmern sich um neue Aufträge, stellen wissenschaftliche Berechnungen an und messen vor Ort die Bausubstanz. Yvonne Hahn ist für wirtschaftliche Themen wie die Buchhaltung zuständig. Mittlerweile gibt sie ihre Gründungserfahrungen zusätzlich bei Startbahn 13 als Coachin weiter.
Nach den erfolgreichen Belastungstests in der ehemaligen vogtländischen Eisengießerei verlädt das IEXB-Team alles in einen Lkw und fährt zurück ins Lager nach Leipzig. Im Büro angekommen, werten sie die gesammelten Daten aus und schreiben ein Gutachten, welches der Bauherr dem zuständigen Amt vorlegen kann. Dann steht dem neuen Fitnessstudio in der alten Eisengießerei hoffentlich nichts mehr im Wege.
Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2022 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.